Wahlprüfsteine zur Kommunalwahl September 2020 in NRW

Logo von Cochlea und DSB

Der Deutsche Schwerhörigenbund (DSB) und der Cochlea-Implantat-Verband (CIV NRW) sind die beiden großen Verbände in NRW, die die lautsprachlich orientierten Menschen mit Hörbeeinträchtigung vertreten. In NRW sind das etwa 3 Millionen Betroffene, die lautsprachlich orientiert sind. Dagegen finden sich lediglich 18000 Betroffene, die gebärdensprachorientiert sind. (Quelle: Prof.Kaul/Prof.in Niehaus (Universität Köln),

Download: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV16- 1085.pdf.

Der überwiegende Teil der Hörgeschädigten ist also lautsprachlich orientiert und benötigt für die Barrierefreiheit entsprechende hörbehindertengerechte Einrichtungen, wie etwa

  • Gute Raumakustik in allen Kommunikationsräumen (Schallschutz DIN 4109, Nachhall DIN18041)
  • Technische Hilfen zusätzlich zum Hörgerät oder Cochlea-Implantat (z.B. spezielle Audio-Übertragungssysteme zusammen mit einer induktiven Höranlagen oder ähnlichem, die das ins Mikrofon gesprochene Wort bzw. Töne direkt und störungsfrei ins Hörgerät übertragen (siehe DIN18040 bzw. LBO NRW und Kommunikationshilfeverordnung KHV NRW)
  • Verschriftlichung (Videos sind zum Beispiel mit Untertiteln zu versehen, ein live gesprochenes Wort ist durch Schriftdolmetscher in Text zu übersetzen (siehe KHV NRW)
  • Alarme, Warnungen und Informationssignale im Zweisinne-Prinzip (d.h. nicht nur akustisch, sondern auch optisch oder vibrotaktil, ebenfalls DIN18040 bzw. LBO NRW)

Teilhabe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention ist jedoch noch viel mehr als Barrierefreiheit. Beziehen Sie Menschen mit Behinderung bitte in das tägliche Leben in allen Bereichen ein, auch wenn die Prozesse besonders am Anfang manchmal etwas langsamer sind. Denken Sie bitte daran, wie schnell auch Sie zu dieser Gruppe gehören können. Gutes Hören und Verstehen ist darüber hinaus eine Erleichterung für die Kommunikation aller Menschen (Design-for-all).
Zu den Bereichen gehören kulturelle Veranstaltungen in Theatern, Stadthallen und Veranstaltungssälen, politische Veranstaltungen (Sitzungssäle, Besprechungsräume), Weiterbildung/VHS, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Pflegeinrichtungen u.v.m.
Allein das Beantragen eines Personalausweises oder neuen KFZ-Kennzeichens birgt zum Beispiel ungeahnte hörtechnische Barrieren, die mit Hilfe einfachster Zusatztechnik von Seiten der Behörden ausgeglichen werden könnten.
Wir bitten um Stellungnahme, wie Sie sich auf der kommunalen Ebene für die Belange von lautsprachlich orientierten Menschen mit Hörbeeinträchtigung einsetzen werden. Dazu haben wir unsere Fragen in „Wahlprüfsteinen“ zusammengefasst.

Wahlprüfstein Barrierefreiheit in öffentlich zugänglichen Räumen

Unsere Fragen:

  • Werden Sie für die Ausstattung von öffentlichen Gebäuden, Beratungsstellen, Dienstleistungsanbietern mit induktiven Höranlagen und einheitlichen Hinweisschildern stimmen?
  • Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die geltenden Normen, die auszugsweise auf der ersten Seite genannt wurden, verbindlich bei Umbauten und Modernisierungen Anwendung finden?
  • Wie gewährleisten Sie, dass die Kostenübernahme für entsprechende Hilfsmittel ohne Vorbehalte, transparent, ohne bürokratischen Mehraufwand und unabhängig von den persönlichen Gegebenheiten gestaltet wird?
  • Werden Sie einen Etat bereitstellen für die Finanzierung von Schriftdolmetscher oder anderen Kommunikationsdiensten auf öffentlichen Veranstaltungen, Weiterbildung bei der VHS usw.?
  • Werden Sie für die Ausstattung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Haltestellen mit Texthinweisgebern (z.B. Monitore) und einheitlichen Hinweisschildern stimmen?

Wahlprüfstein Schule und Ausbildung


Das inklusive Bildungsangebot, das der Artikel 24 der UN-Behindertenrechts- konvention fordert, ist im Hörgeschädigten-Bereich noch nicht ausreichend ausgebaut. Für die erfolgreiche Beschulung von Menschen mit Hörschädigung in Regelschulen und Berufskollegs sind einige wichtige Rahmenbedingungen und Unterstützungsmaßnahmen erforderlich. Jedoch sind diese an vielen Schulen nur unzureichend oder zum Teil vorhanden.
Das Sprachverstehen der hörgeschädigten Menschen ist im Störgeräusch stark eingeschränkt, daher sind jene Schüler auf eine optimale Raumakustik in den Schulräumen angewiesen. Hilfreich sind in diesem Zusammenhang auch Audioübertragungssanlagen und das Anbringen von Schallabsorbern.
Persönliche Hilfsmittel erhalten Schüler und Auszubildende unter 18 Jahren noch durch die Krankenversicherung, aber immer noch sträuben sich manche Lehrkräfte gegen deren Benutzung.

Unsere Fragen:

  • Wie stehen Sie zu der Forderung, akustische Sanierungen in den Schulen durchzuführen und eine Ausstattung mit Audio-Übertragungssysteme vorzunehmen? Wann soll damit begonnen werden?
  • Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, dass vorhandene Hilfsmittel an Schulen auch verlässlich eingesetzt werden?
  • Wie werden Sie die Aufklärung des Kollegiums über inklusive Bedarfe fördern?
  • Werden Sie Hilfsmittel für Schüler und Auszubildende bereitstellen, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres diese nicht mehr von der Krankenkasse bekommen?

Wahlprüfstein Senioren


In unserer immer älter werdenden Gesellschaft wächst der Anteil der über 60 Jahre alten Mitbürger rasant. Damit nimmt die Zahl schwerhöriger Senioren und Seniorinnen erheblich zu.
Ältere bleiben länger fit und haben länger Interesse an aktiver Freizeitgestaltung als früher. Die Teilnahme an geselligen Veranstaltungen wie Seniorennachmittage, Seniorenwanderungen, kulturelle Angebote etc. ist für ältere Mitbürger mit Hörbeeinträchtigung wegen der akustischen Isolation oft unmöglich. Hörgeräte und Cochlea Implantate müssen regelmäßig gewartet werden. Mobilitätseingeschränkte ältere Menschen mit Hörbeeinträchtigung erreichen häufig nicht mehr den Akustiker bzw. die Klinik zur Nachsorge.
Das Pflegepersonal legt die Hörhilfen in Unkenntnis oder wegen Zeitmangels oft nicht korrekt oder gar nicht an. Außerdem spricht es die Betroffenen häufig nicht zugewandt an oder spricht zu schnell oder zu undeutlich. Erst kürzlich wurden mehrere Studien publiziert, dass eine nicht ausgeglichene Hörschädigung eine Demenz fördert!

UnsereFragen:

  • Wie werden Sie auf die Qualität in der Pflege hinwirken, dass das Pflegepersonal ausreichend geschult wird und ausreichend Zeit erhält, den zu pflegenden Personen mit Hörbeeinträchtigung ihre persönlichen Hörhilfsmittel korrekt anzulegen?
  • Werden Sie Beratungsdienste für Senioren für Kommunikationsbarrierefreiheit sensibilisieren?
  • Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Begleitdienste oder ähnliches für Senioren oder hilfsbedürftige Personen organisiert werden für Gänge zum Arzt, zum Akustiker oder in die behandelnde Nachsorge-Klinik?
  • Werden Sie besonders bei Veranstaltungen für Senioren darauf achten, dass Räume mit guter Akustik und Beschallungsanlagen verwendet werden und induktive Anlagen eingesetzt werden?
  • An wen können sich Bewohner oder Patienten wenden, wenn Sie keinen Ansprechpartner haben, der mit ihnen deutlich spricht?

Wahlprüfstein gesellschaftliche und politische Teilhabe


Auch politische Veranstaltungen und Sitzungen sind nur selten barrierefrei für Menschen mit Hörbehinderung. Viele Kommunen haben zwar bereits eine mobile induktive "FM-Anlage" angeschafft, aber das Herumreichen eines einzelnen Mikrofons erscheint oft mühselig und wird abgelehnt. Das gleiche gilt für Veranstaltungen in Freizeit, Kultur und Sport. Eine echte gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft kann für gehörlose und schwerhörige Menschen nur gelingen, wenn sie die notwendigen Kommunikationshilfen – d. h. Gebärdensprachdolmetscher und Schriftdolmetscher sowie die technischen Kommunikationshilfen zur Verfügung haben.
So bleibt es für Menschen mit Hörbehinderung nach wie vor sehr schwierig, sich ehrenamtlich in der Politik, bzw. in den Netzwerken zu engagieren. Dies stellt eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit dar, die allen Bürgerinnen und Bürgern zustehen muss.
Zwar formuliert das neue Bundesteilhabegesetz in § 78 Abs. 5 SGB IX die Finanzierung von Assistenz, also auch Kommunikationsassistenz, als Eingliederungshilfe im ehrenamtlichen Bereich, und zwar mit deutlich verringerter Anrechnung von persönlichen Einkünften und Vermögen. Aber immer noch bleibt die Hürde der Antragstellung bei den Landschaftsverbänden. Außerdem gilt es nicht für technische Hilfen.

Unsere Fragen:

  • Werden Sie für die komplette Kostenübernahme für Schrift- und Gebärdensprachdolmetscher in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens stimmen?
  • Werden Sie Kommunikationshilfen bei politischen Veranstaltungen bereitstellen?
  •  Hat in Ihrer Kommune ein Mensch mit Hörbeeinträchtigung schon einmal Leistungen aus der Eingliederungshilfe für das Ehrenamt erhalten? Welches sind in Ihren Augen die größten Hürden bei der Antragstellung?
  • Gibt es in Ihrer Partei Hörgeschädigte, die als Amtsträger tätig sind?